Single Börse Kapitel 22







Lebens Erfahrung


„OK, heute habe ich ein wenig mehr Zeit.
Anja ist gestern Abend zu ihren Eltern gefahren.
Komm, schnapp Dir Dein Motorrad und lass uns eine Runde
durchs Sauerland düsen.
Nachher können wir dann ja noch mal das Thema von neulich
bequatschen."

Lars war mal wieder vorbeigekommen.

„Habt ihr Stress oder warum ist sie zu ihren Eltern?"

„Ne, der Bruder hat Geburtstag, mit dem kann ich nicht so
gut, deshalb ist sie alleine da hin."

„Ach so, warte, ich gebe der Dicken noch kurz was zu fressen
und dann können wir los"

Nach gut drei Stunden Fahrt durch das Sauerland,
vorbei an Sorpe, Möhne und Verse waren wir wieder zu Hause
angekommen.
Leider war die Tür zum Hof geschlossen.

„Willst du was trinken ? Ich muss eben den Mist wegmachen."

„Bist Du verrückt, ich muss doch noch mit der Karre nach
Hause. Stinkt das eigentlich immer so?"


„Kommt darauf an, was sie gestern gefressen hat.
So fertig, dann lass uns reden.
Moment mal, Caro komm hau ab, der Lars will nicht
aufgefressen werden.
Soll ich sie wegsperren?"

„Lass mal sein. Caro, jetzt ist gut, komm mach Platz und
Ruhe."

Es klingelte an der Haustür.
Niemand zu sehen.
Vor meinen Füßen lagen drei Versandhauskataloge.

„Wo war ich den neulich stehen geblieben?"

„Du hast irgend etwas vom Instinkt erzählt und das wir alle
nur eine Rolle spielen oder so ähnlich."

„Ja, jetzt erinnere ich mich wieder.
Also ich bin auf die ganze Sache eigentlich durch die
Antwortmail von Manu1593 gekommen.
Von der hatte ich Dir doch erzählt, oder ?"


„Ja, das Du wohl eine Super Frau im Internet gesehen hast,
aber nicht was es mit Deiner Erkenntnis aufgrund Ihrer
Antwortmail auf sich hat."

„Ich hatte ihr auf Ihre Anzeige geschrieben, das ein ganz
normaler Mann, mit allen Vor und Nachteilen die wir Männer
nun mal so haben, sie gerne kennen lernen möchte."

„Ja, das erwähntest Du schon. Sie war der Ansicht ,
das du ihr das nur erzählst um sie auf Dich aufmerksam zu
machen.
Und was hat das mit Deiner Erkenntnis zu tun?"

„Genau, damit fing alles an.
Ich hab mich dann mal ein wenig in der Single Börse bei den
Kerlen umgesehen."

„Willst Du jetzt schwul werden?"

„Quatsch, ich wollte einfach nur mal so sehen was die
anderen Kerle so über sich schreiben."

„Und..."

„Tja, scheinbar besteht die Männerwelt nur aus reichen
gutaussehenden Traumtypen.
Alle sind sportlich, nett, gut gebaut und so weiter."


„Ist doch klar, würdest Du denn da rein schreiben das
Du klein und hässlich bist und mächtig Übergewicht hast?"


„Ja aber wo sind denn die Kleinen und Hässlichen dann?
Gibt es die gar nicht?

„Das werden die schon sein, sie machen sich halt nur ein
wenig attraktiver damit sie überhaupt eine Chance haben."

„Genau darüber habe ich mir so meine Gedanken gemacht,
warum die lügen, warum die eine andere Rolle spielen."

„Ist doch klar, weil keiner einen hässlichen oder dicken Kerl
will."

„Und das genau ist doch der Knackpunkt.
Wer bestimmt eigentlich in unserer Welt,
was schön ist, wer sagt denn, das Dick nicht auch schön ist.
Wer nimmt sich das Recht heraus zu behaupten,
ein Mensch wäre hässlich, nur weil er nicht in irgendein
Schema reinpasst?"

„Kannst Du mir das mal bitte genauer erklären?"

„Klar, zum Beispiel das dick und das dünn sein,
das kann man doch jetzt gerade mal wieder ganz aktuell
verfolgen.
Vor ein paar Jahren mussten alle Models noch aussehen wie
Klappergestänge.
Mittlerweile werden die auch schon wieder ein wenig runder."

„Ist auch besser so, da war auch schon gar nichts mehr zum
anfassen dran."

„Ich kann Dir noch ein Beispiel nennen.
In Afrika,
Du weißt ja, das ich in Kenia meine zweite Heimat habe,
ist es sogar von Vorteil dick zu sein.
Dick heißt dort, sich ernähren zu können,
Reichtum zu besitzen.
Aus diesem Grund hast Du als dicker Mann in Afrika immer
gute Chancen eine Frau zu bekommen.
Weil die Frauen davon ausgehen, das Du Geld hast."

„Also hätte ich da drüben wenig Chancen?"

„Chancen schon, aber nicht so viele wie ein dicker Mann.

„Und was hat das ganze jetzt mit Deiner Erkenntnis zu tun?"

„Ich glaube, das alles, wirklich alles was wir tun gar nicht
mehr wir selbst sind.
Das hatte ich Dir glaube ich beim letzten mal auch schon
gesagt. Unsere Meinung, unser Auftreten unser Wesen, unser
Denken, unser Handeln, alles wird bestimmt von anderen
aber nicht mehr von unsere Seele, von unserem Sein"


„Quatsch, wenn ich Motorrad fahren will, dann mache ich
das doch, weil ich das will, weil es mir Spaß macht."

„Bist Du dir da so sicher?
Wird Dir nicht vielleicht nur von anderen vorgelebt, das
Motorrad fahren Spaß macht.
Ist in Wirklichkeit Dein Instinkt nicht sogar dagegen?"

„Klasse jetzt versteh ich wieder mal kein Wort.
Was hat Motorrad fahren mit Instinkt zu tun?"

„Darüber hatten wir uns doch auch schon neulich
unterhalten.
Aber ich versuch es Dir auch mal am Beispiel Motorrad zu
erklären. Gut, Du sagst Motorrad fahren macht Dir Spaß,
aber hast Du nicht manchmal in gewissen Situationen Angst?
Angst Dein Leben zu verlieren?
Sag ja nicht, das kennst Du nicht,
Du fährst immer so besonnen das Dir gar nichts passieren
könnte.
Und selbst wenn Du total konzentriert und besonnen fährst,
wer garantiert Dir denn, das die anderen genauso viel
Rücksicht auf Dich nehmen.

„Klar , keiner, ist mir auch schon klar, ein kleiner Ölfleck
oder Sand in der Kurve und tschüß.."

„Genau, das meine ich.
Im tiefsten Inneren von Dir hast Du Angst.
Und trotzdem fährst Du. Das widerspricht sich doch."

„Wieso wiederspricht sich das denn?
Dann muss man halt nur vorsichtiger fahren."

„Macht es dann den noch Spaß?
Spaß, wie Du meinst, das er sein müsste?"

„Nee, eigentlich nicht!"

„Genau hier liegt mein Denkansatz.
Wie kann mir etwas Spaß machen,
das mich in Gefahr bringt mein Leben zu verlieren.
Das würde doch gegen die Urmenschlichsten Instinkte
verstoßen.
Dem Überlebenstrieb."

„Ja, das versteh ich. Aber es macht mir doch trotzdem Spaß"

„Jetzt sind wir wieder am Punkt.

" WARUM ?"

Kann es nicht sein, das Dir, uns allen, nur vorgelebt wird,
das es uns Spaß machen muss.
Das muss nicht nur Motorrad fahren sein, die Beispiele lassen
beliebig erweitern.
Ich hatte Dir doch damals die Geschichte mit meinem ersten
Bier erzählt, was ist mit Rauchen, was ist mit Coke, was ist mit
den zum Teil ekel erregenden Speisen die so unwahrscheinlich
trendy sind?"


„Das stimmt schon, ich kenn da auch ein paar Sachen, da
müsstest Du mich mit Waffengewalt zwingen, sie zu essen."

„Es gibt aber auch genau das Gegenteil,
teilweise ekelerregende Speisen die aufgrund ihre Inhalte
super gesund wären.
Wie wäre es zum Beispiel mit Maden.
Pures Eiweiß und trotzdem ist sie niemand.
Zumindest nicht in unseren Breitengraden."

„Ist ja ekelig."

„Bist Du Dir da so sicher?"

„Klar, dann kannst Du ja gleich Würmer zur Nachspeise
hinterher schieben."

„Warum nicht? Eiweiß pur."

„Es geht doch nichts über ein vernünftiges Schweinekotelett.
Oder Fritten mit Currywurst."

„Ich widerspreche Dir da ja nur ungern, aber was würde ein
Moslem zum Beispiel zu Deinem Schweinekotelett oder ein
Eskimo zu Deinen Fritten sagen?"

„Mir egal, ich eß was mir gefällt und pasta.!"


„Der Witz dabei ist, das wir das Spiel alle,
alle mitmachen.
Wir spielen das Spiel das mit uns gespielt wird selber den
anderen wieder vor.
Wir manifestieren dieses Spiel im Quadrat.
Und niemand, wirklich niemand kann sich aus diesem Spiel
heraushalten.
Nicht der Künstler, der meint, die höchste Stufe in der
Pawlowschen Bedürfnispyramide erreicht zu haben,
nicht der Lebenskünstler auf Ibiza,
niemand kommt ohne seine Rolle aus.
Eine Rolle,
die irgendwann mal von einem unbekanntem Autor
geschrieben wurde.
Las uns für heute aufhören, mir platzt sonst gleich die Birne.
Ich wollte eh noch mal mit der Dicken vor die Haustür.
Willste mit"

„Ne, mir reichts für heute auch.
Mach mich jetzt auf die Socken.
Will Anja gleich auch noch mal anrufen.
Wir sehen uns im Studio."


Mehr und mehr wurde mir bewusst, das ich anfing mein Sein
in Frage zu stellen.
Ich war auch nur eine Marionette,
eine Spielfigur im Spiel des Lebens in dem andere das
Drehbuch schrieben.
Aber wer waren sie, wo waren die anderen ,
Wo war mein Autor? Wer war mein Autor?
Stand meine Rolle schon fest oder wurde sie täglich neu
geschrieben?
Alles was mir bisher wie selbstverständlich erschien,
alle Grundstützen meines bisherigen Lebens brachen in sich
zusammen.
Die Schule, die Lehre,
alles Wissen was ich erworben hatte,
besser, alles was mir erlaubt wurde zu lernen, meine Hobbies,
meine Vorlieben
(ja selbst die Vorlieben in Bezug auf Frauen),
war es das was ich im oder vom Leben wollte oder wurden
mir wie einer Eisenbahn die Weichen gestellt ohne das ich je
die Möglichkeit gehabt hätte jemals selber das Stellwerk zu
betreten?
War es nicht so, das alles, was auf mich einwirkte, mich dazu
zwang eine Rolle zu spielen?
Meine Freunde, die in mir eine bestimmte Person sahen,
Meine Rolle auf der Firma, meine Rolle in der Freizeit......
Alles an mir war eine zweite Haut,
für jede Gelegenheit die Richtige aber niemals die eigene.

Die Erkenntnis nahm erste Formen an.









Zurück zur Auswahl

     Weiter zum nächsten Kapitel