Von der Notwendigkeit, mehr als einen Schutzengel zu besitzen









Donnerstag's, im November 2004.
Trotz der späten Jahreszeit ist es noch ungewöhnlich mild.
Die Sonne strahlt schon den ganzen Tag vom Himmel und es müssen
so gegen 18 Grad sein, als ich mich gegen 15 Uhr in meine Rennkombi
quetsche.
Vor mir liegen, wie fast jeden Nachmittag, feinste 90 Autobahnkilometer
zu meiner Freundin ins Rheinland. (Mittlerweile Ex -Freundin)
Kurz noch ein Blick auf den Tageskilometerzähler.
Ok der Sprit müßte noch locker für die Hin und Rückfahrt reichen.


Startknopf gedrückt und nach den üblichen drei Umdrehungen, die das
Motormanagment braucht, um alle Aggregate durchzuchecken setzen sich
die munteren 149 Pferdchen meiner Daytona in Bewegung.
Satt brummelnd aus dem Topf lassen die drei Zylinder ihr düsteres
Grollen vernehmen. Ein kurzer Griff am Gashahn und....
Der Donner den dieses Triebwerk entfacht begeistert
mich an jedem Tag aufs neue.

Los gehts.

Die ersten Kilometer bis zur Autobahnauffahrt nutze ich wie immer,
um den Motor und die Reifen auf Betriebstemperatur zu bringen.
Die Kombi zwickt auch noch ein wenig, sitzt wohl noch nicht
richtig, oder schlagen doch die drei Kilo, die ich zugelegt habe durch?


Raus aus der Ortschaft, ab auf die Landstrasse.
Einige kurze Zwischenspurts um die Landstrassenparker in ihren
vierrädrigen Verkehshindernissen hinter mich zu lassen.
Die sechs Kilometer bis zur Autobahn sind heute wieder zugepflastert
mit Sternfahrern, die scheinbar nur ein Ziel vor Augen haben.
Möglichst langsam von A nach B zu kommen und dabei,wie einst der
Rattenfänger von Hameln, eine möglichst große Meute hinter sich her
zu ziehen. Das Problem ist mit jeweils einem kurzem Zug am Gasgriff
schnell erledigt.,


Da liegt sie, die Auffahrt zur A1.
Alle Aggregate sind auf Betriebstemperatur.
Mental gehe ich noch schnell die Beschleunigungsphase durch.
Eigentlich werde ich sie wie immer nehmen.
Zuerst diese kurze scharfe Rechtskurve,
dann eine cirka 800 Meter lange Gerade,
ideal um die zwei vor mir schleichenden Vierräder noch hinter mir zu
lassen und dann kommt sie auch schon, diese einmalig schöne
links/rechts Kombination,
gefolgt von der 500 Meter langen Beschleunigungsspur.
Schade, Ideallinie nicht ganz erwischt.
Na ja, war aber trotzdem zügig genug durch die Kurvenkombination.
Jetzt die Beschleunigungsspur.
Vor mit ca. 150 Meter links ein polnischer Familienkombie.
Nein, das ist keine wirkliche Herausforderung, aber der da,
Golf in ca. 250 Meter auf
der linken Spur. Ja das passt schon besser.
Kurz noch die Furt ein Stück näher an den Tank,
ist besser für die Bodenlage und ab gehts.
Blinker...Rückspiegel.. Quatsch, wofür Rückspiegel,
die Beute liegt vor mir
Gas...Schalten..Klack Klack Klack.
Ein Blick auf den Tacho verrät gemässigte 240 Stundenkilometer.
Ein Blick in den Rückspiegel lässt den Golf ganz schön klein aussehen.


Kurz noch zwei, drei BMWs des Feldes verwiesen und dann muss ich auch schon
wieder vom Gas runter. Baustelle Hagen West und Tempo 100.
Ok, überlebe ich auch, Ich weiss ja was mich gleich erwartet.
Freie Fahrt für freie Biker.
Endlich, Tempolimit Ade.
Vor mir rekelt sich die A1 in ihrer ganzen Schöhnheit.
Die langezogene Rechtskurve vor mir scheint geradezu zu rufen,
Ich will Dich, komm leg Dich in mich rein.
Gerne folge ich Ihrer Aufforderung.
Doch nach nur einem Kilometer stoppt ein scheinbar parkender
PKw meinen Vorwärtsdrang.
Selbst die mehrfache Benutzung meiner Beleuchtungsanlage scheint ihn
nicht sonderlich zu interressieren.
Also runter von 260 Km/H auf Bummelzuggeschwindigkeit 180.
Nach 1,5 Kilometer habe ich ihn endlich weich. Er schlüpft, fast wie
freiwillig, in eine sich ihm rechts bietende Lücke zwischen die LKW's.
Furt nach vorne und Gashahn auf.
Bei Tempo 250 bleibt nicht viel Zeit, die Gegend zu geniessen.
Im Tiefflug gehts vorbei an der Anschlußstelle Volmarstein
Ab hier fingen meine Schutzengel an, sich warm zu laufen.....


Die A1 gleicht hier einer Berg und Talbahn. Vor mir liegt der nächste
Anstieg auf dessen Gipfel sich die Abfahrt Gevelsberg befindet.
Und vor mir liegt in knapp 500 Metern Entfernung das nächste Hinderniss.
Ein weisser Opel Caravan. Also wieder runter vom Gas und hoffen, das er
möglichst schnell rechts die Lücke entdeckt.
Genau zu diesem Zeitpunkt hatten sich alle meine Schutzengel ihrer
überflüssigen Kleidung entledigt und waren bereit zu Ihrem Einsatz.


Genau auf der Bergkuppe, findet sich die Lücke für den
Opelfahrer. Er zieht links rüber und ich am Gashahn.
Da passiert es.
(Schutzengel habt acht)
Tachoanzeige 230 KM/h.
Ein Knall, eine Rauchwolke, ein tierisches Rattern.
Nur ganz kurz merke ich, wie das Hinterrad blockiert.
Ein kurzer seitlicher Versatz lässt mein Adrenalinspiegel auf unzulässig hohe
Werte anschwellen.
Motor geplatzt.
Alles blockiert.
Mein Unterbewussstsein gibt Befehl an die Hand: zieh die Kupplung.
Die Hand zieht, doch die Blockade lößt sich nicht.
Aber warum fahre ich immer noch geradeaus?
Wobei geradeaus nicht ganz richtig ist.
Schräg schiesse ich über die Autobahn.
Nur noch 200 Meter und dann gehts ab in die Leitplanke.
SCHEISSE !!!!!!!!!!!!!!!!!
Noch hundert Meter.....
Zeit für den nächsten Schutzengel einzugreifen...
Ein fürchterliches, metallisches Geräusch unter mir und alles was vorher
die Bezeichnung Motor und Getriebe trug ist Vergangenheit.
Mit einem Mal ist die Maschine wieder lenkbar.....
Ungefähr 80 Meter vor dem Einschlag in die Leitplanke.
Irgendwie schaffe ich es, die Maschine auf den Seitenstreifen zu lenken.
Nach weiteren knapp 400 Metern bringe ich sie auch zum stehen.
Ich steige von der Maschine und setze mich auf die Leitplanke.
Auf der Autobahn steht der Verkehr. Eine tiefdunkle Rauchwolke hängt
immer noch über der Fahrbahn.
Langsam setzt sich der Verkehr auf der Bahn wieder in Bewegung.
Kein Mensch scheint es zu interessieren, wie es mir geht.
(Danke hier noch mal an dieser Stelle an alle Autofahrer!)


Ich brauchte fast 10 Minuten, bis sich meine Nerven soweit wieder
beruhigt haben, das ich ungefähr reallisieren kann, was geschehen ist.
Motorblockade bei Tempo 230.
Normalwerweise......
Abflug mit nicht unerheblichem Verletzungsrisiko......
Aber ...
Schutzengel Nummer 1 hatte sich ja schon warm gelaufen:
Das aus dem Motor entweichende Öl spritzte scheinbar direkt auf das
Hinterrad, so das es weiter mit rutschte.


Jetzt wollte auch Schutzengel 2 zeigen was er drauf hat:
Ich hatte gerade alle PKW's hinter mir gelassen, rechts
neben mir die Spuren waren frei, so das sich mir bei meinem Ausflug quer
über die Bahn kein unnatürliches Hinderniss in den Weg stellen konnte.


Schutzengel 3 hatte es sich nach einer kurzen Denkpause wohl doch überlegt,
mitzuwirken:
Kurz vor der mit Sicherheit höchst schmerzhaften abruppten Verzögerung,
ausgelöst durch die sich mir in den Weg stellende Leitplanke, lösten sich
sowohl die Blockaden in meinem Kopf als auch am Motorrad. Dadurch war es mir
möglich, die Maschine unbeschadet auf dem Seitenstreifen anzuhalten.




Das hier geschriebene geschah wirklich im angegebenem Zeitraum.
Eine ca. 800 Meter lange Spur quer über die A1 in Höhe der Auffahrt Gevelsberg
zeugte noch lange Zeit danach von dem Geschehen.



Das Motorrad ist schon seit einiger Zeit wieder repariert vom Händler zurück.
So langsam fange ich auch wieder an, etwas mehr Vertrauen in die Maschine zusetzen.
Ich habe schon die ersten kleinen Tripps unternommen und dabei auch schon
mehrfach die 200ter Marke überschritten.
Aber irgendwo, ganz da hinten in den tiefsten Verwirrungen meines Denkens
schrillen ab und an doch noch die Warnglocken.
Und dann stell ich mir immer mal die Frage, wieviel Schutzengel einem
Menschen im Laufe seines Lebens zustehen.









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